Geschichte im Essener Norden

 

Der nördliche Jakobsweg in Essen

 

Jakobswege verbinden Menschen, Orte und Geschichte miteinander. Der neue nördliche Jakobsweg in Essen fügt sich in diese Tradition nahtlos ein. Er führt von der Münsterkirche an der Kettwiger Straße über die ehemalige Rheinische Bahn bis zur Stadtgrenze Schönebeck und Heißen.

Ich habe am 4. Oktober 2014 eine Ökumenische Pilgergruppe aus Bochum-Harpen und einigen Teilnehmern aus Essen begleitet. Wir sind von der Münsterkirche an der Marktkirche vorbei zum Weberplatz und über die Friedrich-Ebert-Straße zur neuen „Grünen Mitte" gegangen. An einigen Stellen: Grüne Mitte – Krupp Park mit dem See – Niederfeldsee - habe ich aus der Essener Geschichte erzählen können.

Treffpunkt war das Atrium der Münsterkirche. Nach einer kurzen Einführung zur Geschichte des Stiftes Essen, seiner Gründung im Jahr 852, dem Bau der Münsterkirche mit einem besonderen Hinweis auf das Westwerk und unserer „Goldenen Madonna", war Gelegenheit zu einem kurzen Rundgang. Anschließend traf sich die Gruppe in der Nikolaus-Groß-Kapelle zu einer „Pilgerandacht mit Betrachtung und Liedern". An der Skulptur von Kardinal Hengsbach gab es dann noch eine kleine Diskussion über moderne Kunst.

Unser Weg führte über die Kettwiger- in Richtung Viehoferstraße. Durch die Kriegszerstörung und politische Entscheidungen sind nur noch wenige alte Bauten im Stadtkern vorhanden. Auf der linken Seite gegenüber der Marktkirche steht heute ein schmuckloses mehrstöckiges Geschäftshaus. An dieser Stelle stand seit dem Mittelalter das Essener Rathaus. Der neugotische Bau von 1885 wurde im Krieg beschädigt, aber im alten Stil wiederaufgebaut. 1964 wurde es nach einem Ratsbeschluss abgerissen. In diesen 79 Jahren waren viele Monarchen und bekannte Politiker dort zu Besuch. Die Firma Wertheim baute 1965 ein Warenhaus, es wurde 1987 wieder abgebrochen und durch ein anderes Geschäftshaus ersetzt. Viele Essener trauern heute noch ihrem Rathaus nach!

Die Marktkirche aus dem Jahr 1043 lädt als Offene Kirche zum Besuch ein. Hier wurde 1563, also vor 450 Jahren, die Reformation in Essen durch das Volk und den Rat durchgesetzt. Die Kirche wurde im Krieg durch Bomben stark zerstört, dann aber ohne den Turm wiederaufgebaut. An seiner Stelle errichtete man 2006 einen Kubus aus blauen Glasfenstern, der den Innenraum bei Sonne wunderschön ausleuchtet. Auf dem Platz vor der Kirche, wo heute das Denkmal von Alfred Krupp steht, war im frühen Mittelalter ein Friedhof. Bei Bauarbeiten werden immer wieder Reste alter Gräber gefunden.

Rechts, etwas unterhalb der Marktkirche am Flachsmarkt wurde 1910 – 1912 das „Keramikhaus" gebaut. Es erhielt seinen Namen, weil seine Fassade mit Reliefs aus Delfter Kacheln versehen war. Hier befand sich ab 1917 die Stadtbücherei. 1934 beim Umbau zum „Haus der Deutschen Arbeitsfront", DAF, ist der Keramikschmuck bis auf wenige Reste entfernt worden. Im Krieg wurde der Bau schwer beschädigt, nach dem Aufbau hatte „Westmöbel" hier große Ausstellungsräume. Nachdem das Möbelhaus auszog, war hier für einige Jahre die Zentrale der Aktion Adveniat. Zurzeit werden die oberen Etagen für Büros umgebaut.

Auf dem weiteren Weg kommen wir an der evangelischen Kreuzeskirche vorbei. Sie wurde gebaut, weil in den 1890er Jahren die Zahl der evangelischen Christen immer mehr zunahm. Die Einweihung fand 1896 im Beisein der Kaiserin Auguste Viktoria statt. Sie wurde bei einem Bombenangriff 1943 zerstört, und bis 1953 wieder aufgebaut. Die Zahl der Gemeindemitglieder ging ab 2000 stark zurück, das Geld für eine notwendige Renovierung konnte die Gemeinde nicht aufbringen. Neue Ideen waren gefragt: die Kirche wurde ab 2014 durch einen Investor als „Kulturzentrum" umgebaut. Sie wird auch weiterhin von der Gemeinde für Gottesdienste genutzt.

Unterhalb der Kreuzeskirche liegt der Weberplatz mit dem Haus der Begegnung. Es ist 1913 von der Evangelischen Gemeinde als Ledigenheim für Arbeiter gebaut worden. 1930 hat es die Stadt Essen gekauft und als Bürogebäude genutzt. Im Krieg wurde es stark beschädigt und in vereinfachter Form wieder aufgebaut. Seit mehr als 25 Jahren ist es die zentrale Begegnungsstätte für die „Arbeitgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen" in Essen.


Die erste Jakobsmuschel am Ende der Viehofer Straße zeigt uns den Weg zur Rheinischen Bahn.


Wir überqueren die Friedrich-Ebert-Straße und kommen in den „Segeroth", heute die neue „Grüne Mitte Essen". Als um 1840 die Zeche Viktoria Mathias abgeteuft wurde, fanden viele Zuwanderer aus dem Osten hier Arbeit. In den folgenden Jahrzehnten entstand im Segeroth ein „gemischtes" Viertel aus einfachen Arbeiterwohnungen, Arbeiterheimen und kleinen Betrieben. Die Rheinische Bahn errichtete einen Güterbahnhof. 1880 lebten hier 8000 Menschen, 1930 waren es über 30 000. Die KPD war hier immer die stärkste Partei, es kam häufig zu Straßenkämpfen mit rechten Gruppen. Nach 1933 kam die SA und „räumte" in ihrem Sinne in diesem Arbeiterviertel auf. Viele Kommunisten und Sozialdemokraten wurden zusammengeschlagen, verhaftet und verschwanden in den Gefängnissen. 

Durch die Nähe zu den Krupp-Werksanlagen wurde der Segeroth stark bombardiert. Häuser wurden zerstört und nicht mehr aufgebaut. In den 50er Jahren gab es Überlegungen, das Gelände für den Bau einer stadtnahen Hochschule zu nutzen. 1972 begann der Bau der „Gesamthochschule", der heutigen Uni Duisburg-Essen. Mit dem Ende des Bergbaus wurde die Rheinische Bahn stillgelegt und Güterbahnhöfe, Bahngleise, Bahndämme und Brücken zurückgebaut. 

Zwischen der Uni und der Stadt gibt es jetzt einen direkten Zugang. Ein stadtnahes Wohnquartier für „gehobene" Ansprüche ist seit 2011 im Bau. In der Mitte ist ein Grünzug mit Wasserbecken und Spielplätzen. Die alte Bahntrasse ist zum Rad- und Wanderweg von der Uni bis zur Stadtgrenze Schönebeck–Heißen ausgebaut worden.


Mit Fotos, die ich 1999 vom Parkdeck Karstadt gemachte habe, konnte ich diese ganze Entwicklung vom Arbeiterviertel zu einem neuen Stadtquartier mit der Uni dokumentieren.


Über die „Rheinische Bahn" führt der Pilgerweg am Werksgelände der ehemaligen Kruppschen Gussstahlfabrik vorbei. Es war ein großes dicht bebautes Industriegebiet, das sich im Süden von der Bahnstrecke Essen – Mülheim bis nördlich zur Grenze nach Altenessen hinzog. Hier waren viele Tausende Arbeiter in den Stahlwerken, Gießereien, Maschinenfabriken und im Lastwagenbau tätig. Die Krupp-Werke waren ein Hauptangriffsziel der Alliierten Bombenangriffe. 1945 waren die Betriebe fast vollständig zerstört. Nach dem Krieg sind noch brauchbare Teile für Reparationsleistungen abgebaut worden. Dazu kam der Strukturwandel und die Verlegung der Betriebe in andere Städte. Die ganze Fläche lag viele Jahre brach und war nicht zugänglich.

1990 begannen die Planungen für eine neue Nutzung als Naherholungsgebiet. 2006 – 07 wurden die Arbeiten in Angriff genommen. Die Industriebrache wurde in eine Parklandschaft mit Hügeln, Bäumen, Liegewiesen, Spielplätzen und dem See mit einer Bühne umgestaltet. 2009 ist ein Teilbereich fertig geworden. Die beste Sicht auf den Krupp-See und den Park hat man von der Brücke über die Helenenstraße. An schönen Tagen ist hier immer viel los! Der neue „Bertold-Beitz-Boulevard" verbindet die Altendorfer und die Bottroper Straße und entlastet so die B 224 vom Durchgangsverkehr. Hinter dem „BBB" auf einem großen Areal sind viele Konzernbereiche zur neuen ThyssenKrupp Hauptverwaltung in einem Gebäudenkomplex zusammengefasst worden. 

Nach Norden hinter der „Pferdebahn" steht noch der einzige Förderturm der ehemaligen Zeche Helene Amalie. Sie erhielt den Namen nach Helene Amalie Ascherfeld, die mit Judokus Krupp verheiratet war. Nach dem frühen Tod ihres Mannes führte sie das Handelsgeschäft erfolgreich fort. Sie war auch an der „Gute Hoffnungshütte" in Sterkrade beteiligt. Als Großmutter von Friedrich Krupp wird sie von vielen Historikern als eigentliche Begründerin des Krupp-Imperiums angesehen.


An der ehemaligen Eisenbahnbrücke über der Helenenstraße ist auch eine Jakobsmuschel als Wegweiser auf der Rheinischen Bahn zu sehen.

Der Pilgerweg geht auf der Rheinischen Bahn weiter durch Altendorf, einem Stadtteil mit schwieriger Sozialstruktur: dichter alter Wohnbestand, starker Durchgangsverkehr und 20% Einwohner mit Migrationshintergrund. Es wurde dringend notwendig, das Wohnumfeld zu verbessern. Ein sichtbares Zeichen dafür ist der neue „Niederfeldsee" im Bereich Altendorf-Nord und Bochold-Süd. Alte leer stehende Häuser aus der Nachkriegszeit mit 180 Wohnungen wurden abgerissen und durch 62 Neubauwohnungen mit Blick auf den See ersetzt, umgeben von einer Grünanlage. Mit dem Fahrrad kann man von der Stadt gut hierher kommen. Der Radweg „Rheinische Bahn" führt mit einer eleganten Brücke über den See und teilt ihn in zwei unterschiedliche Teile. Insgesamt sind hier ca 10 Millionen Euro investiert worden. Dieser Teil Altendorfs ist zu einem guten Wohnquartier geworden.

An der Stadtgrenze Schönebeck – Heißen erinnert noch eine alte Eisenbahnbrücke mit zwei Gleisen an die alte Rheinische Bahn. 2015 wird hier der Radweg weitergebaut. Dann ist auch das letzte Stück „Bahn" zur Geschichte geworden.

Der weitere Pilgerweg führte durch Heißen mit einer Rast im Evgl. Gemeindehaus und dann weiter zur Kirche Maria Himmelfahrt auf dem Mühlheimer Kirchenhügel. Im November 2015 werden wir von der Wolfsburg in Mülheim bis zur Salvatorkirche in Duisburg pilgern.


15.03.2015  Günter Napierala, Altenessener Geschichtskreis