Geschichte im Essener Norden

 

Die Berne – Geschichte und Geschichten um einen Essener Bach

Die „Mühlenberne“ in alter Zeit


Die Berne war einer von vielen kleinen Flachlandbächen in Essen. Sie wurde bereits 1244 erwähnt. Der Graben der „Mölenbecke“, später Berne genannt, war eine wichtige Schutzwehr im Osten und Nordosten der Stadt. Die „Becke“ muss sehr viel Wasser geführt haben, denn es gab an mehreren Stellen Stauwehre zum Antrieb von Mühlen. Von der Quelle im Süden der Stadt bis zum „Viehofer Tor“ sollen es sieben gewesen sein. Der Bach war auch sehr fischreich. Das „Fischrecht“ lag  in Essen bei der Äbtissin und der Stadt. Um 1350  haben  die Einkünfte aus der Verpachtung der Fischereirechte mehr als 10 % der Gesamteinnahmen der Stadt betragen.

Vom Viehofer Tor aus verlief die Berne in vielen Windungen durch Altenessen, die Borbecker Mark und mündete bei Ebel in die Emscher. Die Salkenbecke und der Stoppenberger Bach kamen als Nebenbäche in Altenessen dazu. Wilhelm Sellmann hat 1930 die Essener Mühlengeschichte erforscht. An dem „Berne – Verlauf“ durch Altenessen zählt er sechs Wassermühlen auf. Die älteste Nachricht über eine Mühle stammt aus dem Jahr 1375. Die Familie „op dem Berg“ betrieb eine Kornmühle, die aber auch zeitweilig als Schleifmühle genutzt wurde. Diese Mühle war bis 1745 immer im Besitz der gleichen Familie – 375 Jahre – das ist schon außergewöhnlich.  Die letzte aller „Altenessener“ Wassermühlen war bis 1892 in Betrieb. Über die  „Walkmühle“ an der Grenze zur Borbecker Mark gibt es heute noch eine „Pachturkunde“ aus dem Jahr 1557 vom Wollenweberamt der Stadt Essen. Eine Kornmühle war am Stoppenberger Bach, kurz vor der Mündung in die Berne.

Von Altenessen aus verlief die Berne in einem großen Bogen durch die Borbecker Mark. Diese Mark war der größte Teil der Bauerschaft Vogelheim. Sie bildete mit der nördlich gelegenen Welheimer Mark, die aber nicht zum Stift Essen gehörte, eine große wirtschaftliche Einheit und diente der Holzgewinnung und zur „Schweinemast“. Alle Marktgenossen hatten das Recht, ihre Tiere in der Viehofer-, Borbecker- und Welheimer Mark zur Mast zu treiben. 1906 bis 1914 ist durch diese Mark der Rhein-Herne-Kanal gebaut worden. Krupp erwarb um die Jahrhundertwende in der Mark ein großes Grundstück und begann 1917 mit dem Bau des „Borbecker Hüttenwerks“. 1929 gingen die beiden Hochöfen in Betrieb. Gleichzeitig wurde ein Hafenkanal für die Erzschiffe gebaut. Durch den Bau der großen Industrieanlagen ist die waldreiche Borbecker Mark verschwunden. Die Berne wurde nach Süden verlegt und mit dem Borbecker Mühlenbach verbunden.


30 Jahre Rechtsstreit um die Berne zwischen Altenessen und Essen


1841 gab es in Essen fast eine Revolution: Der Bergbau und die Industrialisierung gruben der Stadt das Wasser ab. Die Brunnen versiegten, das alte Versorgungssystem brach zusammen. Es gab noch Wasser aus einer Quelle der Limbecke, das in einem Becken  gesammelt wurde. Von dort wurde das Wasser über die „Kaupenleitung“ in die Stadt geleitet. Das reichte aber nicht mehr aus. Als 1857/58 weitere Schächte in unmittelbarer Nähe der Stadt abgeteuft wurden, gab es einen weiteren Wassermangel. Nach längeren Planungen wurde 1863 mit dem Bau eines Wasserwerkes am Spillenburger Wehr begonnen. Mit der Einführung einer geregelten Wasserversorgung waren aber viele Probleme nicht beseitigt: regelmäßig traten Cholera-  und Typhusepidemien auf durch Abwässer, die mit Fäkalien in Gruben gesammelt wurden. In Essen wurden um 1866 die ersten Abwasserkanäle gebaut, die einfach in die Berne abgeleitet wurden.  Diese Abwässer liefen dann durch die Gemeinden Altenessen und Borbeck zur Emscher.

Siebrecht beschreibt 1915 in seiner Schrift „Altenessen“  ausführlich die Abwasserprobleme in der Gemeinde: Im nördlichen Teil führten Hochwasser der Emscher häufig zu Überschwemmungen. Ein Wissenschaftler aus Halle bezeichnete die Emscher vor 1900 schon nicht mehr als natürlichen Fluss, sonder als stinkenden Jauchekanal, denn in ihrem Verlauf musste sie alle Abwässer der Bevölkerung und Industrien aufnehmen.

Im südlichen Teil der Gemeinde Altenessens waren die Verhältnisse noch schlimmer. Durch das starke Anwachsen der Bevölkerung und der Industrie wurde die Abwassermenge immer größer. Bei dem geringen Gefälle der Berne lagerten sich im Bachbett Abfallstoffe und Schlämme ab. Alles faulte und verbreitete einen fürchterlichen Gestank. Bei starken Regenfällen trat alles über die Ufer, drang in die Häuser ein, verseuchte die Brunnen und verdarb die Früchte in den Gärten und auf den Feldern. Die Verhältnisse wurden so katastrophal, dass 1872 eine Kommission der Bürgermeisterei Altenessen feststellte: Die von der „Kruppschen Gusstahlfabrik und anderen Werken“ eingeleiteten Abwässer verursachten Epidemien. 1866 trat die Cholera am stärksten in den Häusern auf, die nahe an der Berne lagen. Auch kam es häufig zu Typhus-Erkrankungen.

Der Königlichen Regierung wurde Bericht erstattet. Sie erkannte die Missstände an und forderte die Stadt Essen auf, Abhilfe zu schaffen. Die Stadt erhob Einspruch, der von allen Instanzen abgewiesen wurde. Es gelang  der Städtischen Verwaltung aber, die Angelegenheit über 13 Jahre hinzuziehen. Das Landgericht Essen hatte bereits im Oktober 1883 der Stadt verboten, Abwässer in den „Bernebach“  einzuleiten. Es gab immer wieder Klagen der Gemeinde Altenessen und Gegenklagen der Stadt Essen beim Oberlandesgericht und zum Reichsgericht. Alle in der Zwischenzeit durchgeführten Baumaß-nahmen, auch die 1887 in Betrieb genommene Kläranlage an der Berne, brachten aber keine entscheidende Verbesserung der unzumutbaren Verhältnisse. Dem Altenessener Bürgermeister Stankeit (1886 – 1915) muss es unheimlich „gestunken“ haben, dass zwischen dem Bahnhof und seinem Rathaus dieser „stinkender Schlammbach“ verlief.

Erst durch die Gründung der „Emschergenossenschaft“ 1899 wurde es möglich, das Entwässerungsproblem zu lösen. 1907 gab es einen „Regulierungsentwurf“ für die Berne. Der Ausbau von 1908 bis 1910 beseitigte die Missstände. Bis 1912 sind dann auch der Graitengraben und der Stoppenberger Bach ausgebaut worden. Insgesamt hat es über 30 Jahre gedauert, bis das Abwasserproblem gelöst wurde.


Wo ein Weltkonzern entstand und wo nach Kohle gegraben wurde


Der Radweg an der Berne von der Gladbecker Straße bis zur Econova Allee führt uns in den Beginn des Industriezeitalters in Altenessen.

Einige 100 Meter hinter dem Baumarkt an der Krablerstraße zweigt die Straße „An der Walkmühle“ rechts ab. Ein Radweg führt über die Bernebrücke. An der rechten Seite, nur wenige Meter hinter der Brücke steht ein Findling mit einer Inschrift:



Die „Walkmühle“ wird 1446  erwähnt. 1797 kaufte Helene Amalie Krupp das Anwesen. 1810 ging die Mühle in den Besitz ihres Sohnes Friedrich Krupp über. 1811 gründete Friedrich Krupp mit Teilhabern eine Gussstahlfabrik 1812 wurde ein Fabrikgebäude für ein Hammerwerk gebaut, und 1819 ein Schmelzbau für Tiegelöfen und ein Magazin. Hier sollte „Gusstahl“ nach englischem Vorbild erzeugt und weiterverarbeitet werden. Zum Aufstauen der Berne entstanden zwei Teiche. Der Bach führte aber oft zu wenig Wasser, um die Hämmer ständig anzutreiben. Die Kohle musste über schlechte Wege herangeschafft werden. Trotz der schwierigen Produktionsbedingungen konnte Krupp bald seinen ersten  „Gusstahl“ verkaufen, er blieb aber weiter auf finanzielle Unterstützung seiner Familie angewiesen. Wegen dieser ungünstigen Bedingungen sind Teile der Fabrik bereits 1819 auf ein Grundstück seiner Mutter nach Altendorf verlegt worden. 1824 war Krupp hoch verschuldet, er musste sein Wohnhaus in der Innenstadt verkaufen. Er starb 1826 im Alter von nur 39 Jahren. 

Sein Sohn Alfred übernahm im Alter von 14 Jahren (!) die Fabrik. Mit Erfindungsgeist und Energie baute er aus diesen einfachen Anfängen eine Weltfirma auf. 1834 wurde am Standort im Essener Westen eine Dampfmaschine zum Antrieb der Hämmer errichtet. Damit waren die Schmiedehämmer an der Walkmühle überflüssig. 1839 wurde die Fabrik verkauft, die Schmiedehämmer gingen ins Siegerland. Für den Ausbau der Berne wurden 1910 fast alle Gebäude abgerissen. Einzelne Bauten standen noch bis 1960. Das ganze Gelände ist heute mit modernen Werkhallen überbaut worden.
Am 24. September 1926 ist an der Berne der „Krupp-Gedenkstein aufgestellt worden. Er wurde später an die heutige Stelle versetzt.

Der Radweg führt in Richtung Westen   an der Aluhütte vorbei. Der 185 Meter hohe blau-weiße Kamin ist wie eine Landmarke: von allen Seiten gut zu sehen. An dieser Stelle war früher das Krupp Hochofenwerk. Es war das modernste in Europa und wurde zum Mittelpunkt der Krupp Edelstahlerzeugung. Um eisenarme Deutsche Erze einsetzten zu können, ist eine „Rennanlage“ gebaut worden. Die meisten Anlagen wurden im Krieg stark zerstört. Später sind die noch erhaltenen Teile demontiert worden und gingen als Reparationsleistungen in die Sowjetunion und nach Jugoslawien.  Das große Areal blieb über Jahrzehnte ungenutzt. 1959 ist noch einmal eine „Rennanlage“ errichtet worden, die aber schon 1963 aus wirtschaftlichen Gründen stillgesetzt wurde. Durch den Bau der Aluminiumhütte 1969 entstanden in Essen wieder neue Arbeitsplätze. An die Folgen für die Umwelt hatte zu dieser Zeit noch keiner gedacht. Heute ist die „Trimet-Aluhütte“ der einzige industrielle Großbetrieb in Essen, mit 750 Mitarbeiten. Es werden im Jahr über 350 000 Tonnen Aluminiumprodukte erzeugt.


An der Gladbecker Straße neben der Bernebrücke erinnert nur noch ein Name an die Schachtanlage „Zeche Anna“. Wo heute ein Bau- und ein Elektronikmarkt sind, begann der Kölner Bergwerksverein 1847 mit dem Abteufen eines Schachtes. 1849 wurde das erste Steinkohlenflöz erreicht, 1851 begann die regelmäßige Förderung. 1857 kam die Kokerei hinzu. 1896 noch ein Wetterschacht. Um 1895 sind von  900 Bergleuten  220 000 t Kohle gefördert worden. 1911 wurde die Kohleförderung von Anna nach Emil verlagert. Die Schächte Anna 1 und 2 waren als Seilfahrt- und Wetterschächte noch bis 1952 /1970 in Betrieb.
1989/1990 sind die letzten Bauten von Zeche Anna abgerissen worden.  Heute sind nur noch die Protegohauben der beiden Schächte vorhanden.


Die gefährliche Berne und Emscher


Die Berne und ihre Zuflüsse führen oft wenig Wasser und machen dann einen „harmlosen“ Eindruck. Aber hohe Deiche an beiden Seiten schützen vor Hochwasserfluten, denn bei starkem Regen kann das Wasser schnell ansteigen. Ein extremes Bernehochwasser war im Sommer 1936. Die Hafenstraße stand bis zum Rot-Weiß-Stadion unter Wasser. Die Menschen konnten nur noch mit Booten ihre Häuser verlassen, Fotos zeugen davon. Im Juli 2000 brach durch eine „Regenflutwelle“ der Damm des Stoppenberger Bachs an der Twentmannstraße auf fünf Meter Länge. Viele Keller liefen voll Wasser, es entstand ein großer Schaden. Über die Berne lief die Flut bis nach Ebel in die Emscher. Der Emscherpegel stieg dadurch in dieser Nacht von 1.20 auf über 5 Meter an. Im Juni 2011 war die Berne so stark angestiegen, dass die Brücke an der Altenessener Straße fasst wie eine Staumauer wirkte. Es waren nur noch 10 cm Freiraum bis zum Brückendurchfluss. Januar 2014 ist durch ein starkes Hochwasser der Berne der Emscherdeich in Ebel stark beschädigt worden, er musste sofort repariert werden.
Wenn Fußgänger die Uferböschung betreten und dabei ins Wasser rutschen, besteht Lebensgefahr. Sie haben kaum Chancen,  alleine aus der glatten Betonrinne heraus zu kommen. Überall stehen Warnschilder. Im Oktober 2017 bemerkten Radfahrer auf dem Berneweg in Richtung Stadt einen kleinen Hund, der in die Berne gefallen war. Er bemühte sich verzweifelt wieder heraus zu kommen. Erst die herbeigerufene Feuerwehr konnte in retten!  Der Reporter Michael Holzach ist bei der Verfilmung seines Buches „Deutschland umsonst“ 1983 in der Emscher bei Dortmund - Dorstfeld ums Leben gekommen. Sein Hund Feldmann rutschte von der Böschung ab. Holzach sprang hinterher, verletzte sich am Kopf, wurde von der starken Strömung mitgerissen und ertrank. Sein Hund wurde von der Feuerwehr gerettet.


Die neue Berne


Die Berne soll wieder ein richtiger Bach werden. Von der Grillostraße bis Ebel wird überall gebaut. Abwasser und Regenwasser werden getrennt. Das Abwasser von  320 000 Essener Bürgern wird in großen Röhren von 2 m Durchmesser zur Emscher und dann in die Kläranlage in Bottrop geleitet. Das Regenwasser soll in der neuen Berne zur renaturierten Emscher laufen.
Heute stinkt die Berne noch höllisch. Wer mit dem Fahrrad den Berneweg entlang fährt, muss bei dem heißen Wetter schon sehr mutig sein. Der Umbau soll 2021 fertig sein. 400 Millionen Euro sind dann verbaut worden. Wie es einmal aussehen wird, ist heute schon am Läppkes Mühlenbach zu sehen. Schon nach wenigen Jahren ist hier ein naturnaher Bach entstanden. Wer etwas Besonderes erleben will, sollte nach Ebel fahren. Die Kläranlage der Berne vor der Einmündung in die Emscher wurde nicht mehr benötigt. Sie ist 2010 zu einer Parkanlage umgebaut worden In dem alten Maschinenhaus gibt es auch Kaffee und Kuchen. In großen „Betonröhren“ kann man übernachten!


Quellen und Literaturhinweise, Auswahl:
Siebrecht 1915 „Altenessen“,    Festschrift 1925 „25 Jahre Emschergenossenschaft“,
Sellmann 1930 „Die Mühlen in der Stadt Essen“,    Wisotzky 1997 „Selbstverständlichkeiten“
Hopp, 2011 „200 Jahre Krupp – die Walkmühle“
Hopp 2016 „ Frischwasser und Abwasser in Essen“, aus Archäologischer Sicht
Dank an Herrn Koerner, Borbeck,  für viele Hinweise zur Geschichte.

13.08.2018, Günter Napierala, Altenessener Geschichtskreis